Nun naht wieder die Zeit, die in besonderer Weise dem Gedächtnis des Leidens und Sterbens Jesu Christi geweiht ist. Und da hören wir wieder in der Passion den Schrei des am Kreuz sterbenden Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Vielleicht fragen wir erschüttert: Wie kann der Sohn Gottes meinen, von Gott verlassen zu sein? Doch mit diesem Schrei betet Jesus den Anfang des 22. Psalms. Und besonders in den Psalmen, dem großen Gebet- und Liederbuch des Alten Testamentes und der Kirche bis auf den heutigen Tag, darf der Mensch sich an Gott wenden, nicht mit dem, was er von Gott weiß, sondern wie er sich vor Gott fühlt, mit der ganzen Leidenschaft einer lebendigen Seele.
So darf er klagen und braucht auch nicht davor zurückzuschrecken, Gott in Enttäuschung und Nicht – begreifen – können anzuklagen. So betet der Psalmist im 44. Psalm: „Wach auf, warum schläfst du, o Herr? Erwache, verstoß uns nicht für immer!“ Und, noch ein Beispiel unter vielen: „Warum, Gott, hast du uns für immer verstoßen? Warum ist dein Zorn gegen die Herde deiner Weide entbrannt? (Ps.74)“ Das mag mit manchen einfachen Katechismus-Wahrheiten zuwiderlaufen, aber wenn wir nach dem höchsten Gebot Gott lieben sollen mit ganzem Herzen, dann auch mit den Regungen eines gequälten und enttäuschten Herzens. Jesus macht uns Mut, ein Gebet daraus zu machen, wie es uns ums Herz ist, und seien wir gewiss: Gott als liebender Vater ist nicht schockiert.
Mögen wir von Jesus beten lernen, und mit ihm auf Ostern zugehen, wünscht Ihnen Ihr Heinrich Peters, Diözesanpräses.